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Neckarsteig

Auf dem Weg zu meiner Wanderfreundin im Neckarkreis rast der ICE gerade an Wuppertal vorbei. Kurz kann ich einen Blick auf die Schienen der berühmten Schwebebahn werfen. Schon in Schwerte fuhr der erste Zug verspätet ein. "Das geht ja gut los!" dachte ich. Aber die paar Minuten sollten mich nicht stören. Jetzt, wo der 2. Zug, den ich in Hagen erreichen musste, auch nicht pünktlich war, nehme ich es schon fast persönlich. Ich hoffe, dass ich den Anschluss in Köln noch bekomme.

 

Heute reise ich 1. Klasse, denn das Angebot der Bahn kostet mich nur ein paar Euro mehr. Das zahle ich doch gerne für mehr Komfort. In meinem Abteil saßen zwei sehr nette Damen, mit denen ich mich gut über Dies und Das unterhalten habe. Eine der Damen informierte mich darüber, dass der Zug, den ich nun in Köln innerhalb von 4 Minuten erreichen sollte, 20 min. Verspätung haben würde. In Köln erleichtert das die Sache sehr, aber nun schwindet mein Puffer in Heidelberg! Ich lasse es einfach auf mich zukommen - wird schon werden :)

 

Nun teile ich mir mit einem schick gekleideten Herrn das Abteil, der sich entspannt zurück gelehnt hat. Zwischen Köln und Bonn gibt es einige Treibhäuser und weite bereits bestellte Felder, die meistenteils mit Folien überzogen sind. Ich nehme an, dass hier vorwiegend Spargel auf die Ernte oder Erdbeeren auf die Sonne warten. Die Sonne steht schon tief, es sieht so friedlich draußen aus. Ich freue mich schon auf die vielen Kilometer, die ich in den kommenden Tagen im Neckarsteig zu Fuß machen werde.

 

Jetzt ist es passiert: Ich bin gestrandet. Ich sitze in Heidelberg auf dem Hauptbahnhof fest. Voraussichtlich werde ich mein Ziel erst nach Mitternacht erreichen. Kurz vor Mannheim befand sich eine Person auf den Gleisen und der Zugführer leitete eine Notbremsung ein. Alle Gegenstände auf dem Tisch verrutschten und ich fühlte mich kurzzeitig wie in der Achterbahn. Die Zugbegleiterin erzählte mir später, als ich mich nach Reisealternativen erkundigte, dass sich die suizidgefährdete Person im letzten Moment noch umentschieden hat. So makaber es auch klingt, sie vermutet, dass er den nächsten Zug nimmt.

 

Um die Durchsage über die Anschlusszüge deutlich hören zu können, begab ich mich nach Mannheim in den Gang. Ein junger Mann stellte sich zu mir und fing gleich ein Gespräch an. Schließlich waren wir nun Leidensgenossen. An meinem "Dortmunder Platt" machte er fest, dass ich Touri bin und berichtete mir Wissenswertes über das Heidelberger Schloss und andere Sehenswürdigkeiten. Da meine Wanderfreundin und ich wahrscheinlich Morgen den ersten Wandertag in Heidelberg verbringen werden, bin ich nun doppelt gespannt.

 

Ich fragte vorsichtshalber den Zugführer, ob ich auch in den richtigen Wagon einsteige, denn der Zug wurde zwischendurch geteilt. Im Fahrradabteil nahm ich mit vielen anderen Platz, die den letzten Zug nahmen. Ein von Bier und Wodka betrunkenes Pärchen wirbelte das Abteil auf. Neben und gegenüber mir saßen insgesamt 5 weitere Männer, die sich mir als Flüchtlinge vorstellten. Wir haben uns über eine Stunde lang sehr gut unterhalten. Zwar wollen sie Deutsch lernen, aber vorerst ging die Verständigung besser auf Englisch. Ihnen war das betrunkene Pärchen sichtlich peinlich. Einer erzählte mir, dass er im Irak knapp einer Autobombe entkommen sei. Den Anblick der Opfer vergesse er nie.

 

Meine Freundin und ich fielen in die Koje, als es genau 01:00 h war. Das war wirklich ein langer Tag. Kurz hab ich noch mit zu Hause geschrieben, bin dann aber für die ganze Nacht in einen tiefen Schlaf gefallen. Jetzt mache ich mich fertig für den ersten Ausflug und dann geht es zum Frühstück. Um 09:00 Uhr fahren wir mit dem Zug nach Heidelberg, wo wir die Himmelsleiter erklimmen wollen. Das Wetter dazu ist perfekt.

 

Da viele Leute den Feiertag für Ausflüge nutzen, war der 9 Uhr-Zug schon rappelvoll. Der Zugführer musste mehrmals zum Mikrofon greifen, um mitzuteilen, dass der Zug nur mit geschlossenen Türen weiterfahren kann und die Passagiere den Einstieg frei machen sollen. Zum Glück hatten wir einen Sitzplatz - leider direkt am WC. Um die vorbeiziehende Landschaft zu bestaunen, hätte ich mich nach hinten verrenken müssen.

 

In Heidelberg haben wir schnell unseren Startpunkt ausfindig gemacht. Es galt, etwa 1600 Treppenstufen zum Königsstuhl zu erklimmen, die als Himmelsleiter bekannt sind. Treppensteigen ist für mich eine der anstrengendsten Übungen, daher war diese Idee schon im voraus eine Herausforderung der besonderen Art. Wir zogen mit nur kleinen Pausen stramm durch und hatten nach ca. 1 Stunde die Aussichtsplattform erreicht. Immer wieder wurden wir von Gleichgesinnten eingeholt, mit denen wir am Ende der Himmelsleiter den wunderschönen Ausblick über das Neckartal und unseren Erfolg kräftig gefeiert haben. Chacka!

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Nach einem sehr anstrengenden aber sehr schönen Wandertag ließ ich mich auf meine Bettdecke fallen, nachdem ich mir mit kaltem Wasser die müden Füße gewaschen hatte. Das tat sehr gut! So konnte ich mich einen Moment ausruhen, bevor es zum Abendessen ging. Meine Wanderfreundin hatte dafür gesorgt, dass zusätzlich ihre Familie, eine Freundin und ein Freund zur Wirtschaft kamen und so verbrachten wir den schönen Abend zu 9.

 

Am nächsten Morgen wurde ich gut erholt sehr früh wach. Nachdem ich einige Zeilen für meinen Wanderbericht geschrieben hatte, machte ich mich auf den Weg, um Brötchen für unser Frühstück und als Proviant zu besorgen. Schon der Morgen versprach einen wunderschönen Tag. Nach dem Frühstück ging es auf eine kleine Radtour. Es sollten etwa 50 km werden, die wir zurücklegen wollten. Unsere Strecke ging an Heilbronn vorbei Richtung Laufen, immer am Neckar entlang.

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Es rollte sich leicht und wir kamen gut voran. Hier und da gab es einen gestressten Sprinter, der sich wohl als Hobby-Rennradfahrer den Brückentag frei genommen hatte und tatsächlich glaubte, er wäre als Einziger auf diese Idee gekommen, doch im Großen und Ganzen gab es keine Zwischenfälle. Erst, als meine Freundin erwähnte, dass Bietigheim-Bissingen nicht mehr weit sei, fing die eigentliche Rallye an! Da ehemalige Nachbarn vor ein paar Jahren dorthin gezogen waren, schlug ich vor, sie mit einem Besuch zu überraschen.

 

Laut Navi hatten wir nun noch 20 km zu trampeln, bis wir ankommen würden. Durch eine Baustelle mussten wir einen Umweg machen - es fühlte sich an, als würde es nur noch bergauf gehen - wir haben uns kurzerhand verfahren... Unsere Ankunft verzögerte sich um etwa 45 Minuten, doch wir kamen an! Mein Nachbar, den wir vorher per Anruf informiert hatten, wartete schon an dem Café, an dem wir uns verabredet hatten. Es gab ein großes Hallo und je einen mit Herzchen verzierten Cappuccino.

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Es stellte sich heraus, dass der Nachbar ausgerechnet heute Geburtstag hatte. Trotzdem nahm er sich gerne für uns ein Stündchen Zeit und wir quatschten, was das Zeug hielt. Wir verabschiedeten uns rechtzeitig, um den Zug nach Hause nicht zu verpassen, doch wir hatten die Rechnung ohne die Bahn gemacht: Die Tür zum Fahrradwaggon klemmte und wir versuchten, durch die Menschenmassen, die ausgestiegen waren, den nächsten Waggon zu erreichen, als der Zug sich bereits wieder in Bewegung setzte und den Bahnhof verließ. Fassungslos blickten wir ihm nach.

 

Was nun? Schnell auf den Fahrplan geschaut und für den nächsten Zug entschieden. Hier klappte der Einstieg perfekt, aber die Zugbegleiterin hatte, kurz vor ihrem Feierabend, endgültig den Kaffee auf. Sie sagte uns, dass ca. 25 Prozent der Reisenden im falschen Zug sitzen würden und sie der Meinung ist, dass der Zug, auf den wir hätten springen müssen, uns gerade entgegen gekommen sei. "Sie sitzen im falschen Zug! Außerdem verstehe ich eh nicht, warum Radfahrer Zug fahren. Die wollen doch Radfahren?!" Ein Alptraum!!! Allerdings fand sich auch schnell eine Lösung. Wir fuhren mit diesem Zug so nah an zu Hause ran, wie es ging und radelten die restlichen 15 km kraftlos und mit Schmerzen heimwärts. Fazit des Tages: Die Deutsche Bahn ist flexibel und wir hatten an diesem Tag mehr als 80 km lang in die Pedale getreten.

 

Es ist ein Wunder, dass ich keinen Muskelkater in den Beinen habe. Dabei habe ich dieses Jahr zum ersten Mal eine längere Radtour gemacht. Heute Morgen gingen wir ohne Frühstück aus dem Haus und trafen uns mit einer gemeinsamen Freundin am Bahnhof, um nach Würzburg zu reisen. Die Hinfahrt war absolut easy! Bunt belegte Brötchen gab's im Zug. Würzburg ist wirklich eine Reise wert. Auf der Brücke wurde Allerlei angeboten und zwei von uns haben sich ein Mitbringsel ausgesucht. Die Dritte wurde im Geschäft fündig. Wir waren beim Start zum Gummienten-Rennen dabei und haben in einem tollen Biergarten direkt am Wasser zünftig Bayrische Brotzeit mit Radler und Holunderbier gehabt.

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Alles sah danach aus, als ob die Zugfahrt zurück reibungslos verlaufen würde. Aber dann schaltete sich der Zugführer per Mikro durch und sagte: "Zugbegleiter! Zur Info! Wir können die Fahrt nicht zügig fortsetzen, weil uns ein Güterzug vorausfährt!" Ich dachte nur: "Gut, dass der Zugführer da nicht hineingerasselt ist!" Das Mikro ging erneut an: "Zugbegleiter! Zur Info! Wir überholen den Güterzug nun auf der Gegenschiene!" Ich dachte nur: "Hoffentlich weiß das auch der Gegenverkehr!" Auch die beiden anderen Ladies hielten sprachlos die Luft an. Kurz vor dem nächsten Bahnhof wurden die Weichen gestellt und wir konnten erkennen, dass der Gegenzug im Bahnhof auf uns gewartet hatte :) So etwas hatte ich auch noch nie erlebt!!!

 

Abends haben wir noch einmal alle Kräfte mobilisiert und sind in die Ortschaft Bad Wimpfen gefahren. Für die Nacht hatten viele Anwohner Kerzen und Lichter angezündet und überall standen große, aufblasbare Pilze und Blumen. Eine Gruppe von Turnmädchen führte spektakuläre Kunststücke mit wechselnd bunten Bällen vor. Die Türme leuchteten in rot und blau. Man konnte sich in die mit Kerzen geschmückte Kirche setzen und bei leiser Orgelmusik entspannen oder einem Duo mit Alphorn und Dudelsack zuhören. Die Luft war selbst zu später Stunde noch so warm, dass man ohne Pullover durch die alten Gassen schlendern konnte. Leider war die Schlange an der einzigen Eisdiele im Ort so lang, dass wir weiterliefen.

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In der Woche vor unseren Wandertagen war es sehr kalt und in Heidelberg hatte es sogar Schnee gegeben. In dieser Zeit muss sich meine Freundin den Schnupfen eingefangen haben, der jetzt richtig aufblühte. Obwohl es ihr nicht gut ging, machten wir uns auf zu unserer nächsten Wanderetappe. Die Waldabschnitte waren besonders schön. Der Duft, das Licht, die Geräusche und der weiche Waldboden ließen mich richtig aufatmen. Wenn kein Baum am Wegesrand stand und die Felder in der prallen Sonne lagen, war die Hitze schon jetzt im Mai fast unerträglich.

 

Wir erreichten unseren Zielort mit dem großen Wunsch, einen dicken Eisbecher zu vernaschen. Die Eisdiele befand sich direkt am Dorfplatz und die Tische standen im Schatten. Unser Schwarzwaldbecher und der Schokobecher waren genau das, was wir uns gewünscht hatten. Wir fuhren mit dem Auto zurück, das wir, zusammen mit meiner Freundin Bruder, morgens extra hier abgestellt hatten.

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Obwohl jegliche Energie aus meiner Gastgeberin verschwunden war, bereitete sie ein leckeres Abendessen mit Nudeln, Sauce und Salat vor. Der Balkon wurde noch von der untergehenden Sonne gestreift und wir lehnten uns geschafft aber entspannt zurück. Später bekamen wir noch eine spektakuläre Flugshow von drei kleinen wendigen Fledermäusen zu sehen, die sich ihr Abendmahl aus der Luft erjagten.

 

Mittlerweile bin ich schon wieder auf der Rückreise. Es tut mir aufrichtig leid, dass meine Wanderfreundin so schlecht zurecht war und habe großen Respekt vor ihr, weil sie trotz Schnupfennase unser Freizeitprogramm nicht gekürzt hat. Sie ist eine tolle Gastgeberin, bei der man sich einfach wohlfühlen muss. Jeden Moment merkt man, dass sie sich freut, dass man den weiten Weg auf sich nimmt, um eine schöne Zeit mit ihr zu verbringen.

 

Mein Zug verspätet sich in Köln und ich werde auf keinen Fall den Anschlusszug nach Hagen bekommen. Die Zugbegleiterin hat nun auf meinem Ticket vermerkt, dass ich bis nach Dortmund in diesem ICE bleiben darf. Jetzt habe ich eine komfortablere Reise für den gleichen (Spar-)Preis, da ich einen Umstieg einspare. Da ich bereits auf der Hinreise über 60 min. Verspätung hinnehmen musste, bekomme ich auch noch fast 10 Euro im Nachhinein erstattet. Ich freue mich nun auf 2 weitere Wochen Urlaub, die ich unter anderem für das Weiterkommen auf meinem Jakobsweg nutzen werde.

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